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Heimatkundler aus Linkenheim-Hochstetten vermittelt
Grundlagen zum Lesen alter Handschriften

01.02.2022

Wegen des Abstandgebots sind bis Herbst in der Linkenheimer Zehntscheuer keine Events im Kulturkalender der Gemeinde Linkenheim-Hochstetten geplant. Seit der Freundeskreis Heimatgeschichte das historische Bauwerk aufwändig sanierte, dient es dem aus ihm hervorgegangenen Verein Heimathaus Zehntscheuer als Heimstatt und Veranstaltungsort. Auf Anregung von Schriftführer Rainer Grund und Heimatkundler Manfred Becker ging dort jetzt eine ungewöhnliche Veranstaltung für die Mitglieder über die Bühne, die zum Workshop gedieh. Ziel war, den Zuhörern einige Grundkenntnisse zum Entziffern alter Handschriften zu vermitteln.

Becker, der mit Kurt Joß das Linkenheimer Heimatbuch schrieb, heimatkundliche Aufsätze verfasste und Vorträge hielt, präsentierte zum Einüben einige knifflige Archivdokumente aus der Zeit vom 16. Jahrhundert bis in die 1920er Jahre. Ein Aspekt war dabei neben der früheren Kurrentschrift das auf deren Basis entwickelte und ab 1920 im Gebrauch gängige gewordene Sütterlin. „Viele Leute besitzen noch Dokumente wie Briefe oder Postkarten ihrer Groß- und Urgroßeltern aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, die sie nicht lesen können“, erzählt Becker.

Noch schwieriger werde es wegen der Variationen beim zuvor auch amtlich etablierten Kurrent. Mit dieser Handschrift hat der ausgewiesene Kenner ständig zu tun. „Ich bekomme immer wieder auch Anfragen aus Nachbargemeinden mit der Bitte um Unterstützung beim Lesen alter Dokumente und Briefe“, berichtet Becker. „Es geht auch darum, Know-How zu sichern und es auf breitere Beine zu stellen. Was hilft es, alte Briefe zu haben, wenn sie niemand lesen kann?“, fragt Rainer Grund. „Manfred Becker kann uns dafür zumindest einige Grundlagen und Anhaltspunkte mitgeben.“

Vereinsvorsitzender und Altbürgermeister Günther Johs besitzt Tagebuchaufzeichnungen seines Urgroßvaters Heinrich Heuser von 1931 zu einem mehrjährigem Aufenthalt der Familie in Amerika. Die „Badische Hardt“ habe 1927 einen Reisebrief der Familie veröffentlicht, so Johs. Um die die Dokumente von 1931 zu lesen, brauche es Schriftkenntnisse. „Das gilt grundsätzlich, wenn man sich mit Historie beschäftigen will.“ Vereinsmitglied Rainer Hesselschwerdt war früher als Vermessungstechniker tätig. „Ich musste dabei handschriftliche Grund- und Lagerbücher lesen können“, sagt er. Fließend verfasste Schriften im Vereinsarchiv seien allerdings wesentlich komplizierter.

Vorlagen mit ins Lateinische übertragenen Alphabeten sind als Basis hilfreich. „Erkennt man das lange S am Wort- und Silbenanfang und weiß, dass am Wort- und Silbenende ein rundes S steht, kann man daraus schon einige Wörter erschließen“, gibt Becker ein Annäherungsbeispiel. Ein weiteres ist der Schlenker über dem U oder ein allerdings oft nicht zielgenau gesetzter I-Punkt. Überhaupt erschweren die eigenwilligen Federführungen der Schreiber die Arbeit, wie bei Beckers Einführung deutlich wird. „Hilfreich ist, die meist vergilbten Originale zu fotografieren, am PC zu bearbeiten und Textpassagen vergrößert zu übersetzen“, rät er.

Um dem Inhalt auf die Spur zu kommen, müsse man auch veränderte Ausdrucks- und Schreibweisen beachten. Dass man beim Lesen der hoch gnädigsten Herrschaft oder wie in einer Pfarrernotiz der Kirche als „die Kürchen“ begegnet, steht für eher harmlosere Beispiele. Becker weist zudem auf das um 1900 eliminierte H in vielen Wörtern vom Wirth bis zum Rathhaus hin. Letztlich aber ist für Becker eines klar: „Ich kann den Leuten beispielhaft etwas zeigen, aber sie müssen sich selbst damit beschäftigen, vertraut machen und üben, üben, üben.“

Alexander Werner / BNN